Die
Spur der Qual
Wo und wie das Gehirn Schmerzen verarbeitet
(Berlin)
Nicht nur wo, sondern auch wie Schmerzen im Gehirn verarbeitet
werden, lässt sich mit so genannten bildgebenden Verfahren
zusehends detaillierter beobachten. Wissenschaftler können
dem Gehirn quasi dabei zusehen, wenn es Schmerz empfindet.
Ihre Erkenntnisse präsentieren Forscher auf dem Deutschen
Schmerzkongress in Berlin.
Was
spielt sich im Gehirn ab, wenn ein Mensch das höchst subjektive
Gefühl Schmerz empfindet? Seit einigen Jahren ermöglichen
neue, sich rasch verfeinernde Methoden den Forschern objektive
Einblicke in die Schmerzwahrnehmung: Mit zwei so genannten
bildgebenden Verfahren - der Positronen-Emissions-Tomographie
(PET) und der funktionellen Magnet-Resonanz-Tomographie
(fMRT) - lässt sich die Aktivität jener Hirnareale, die
Schmerzreize verarbeiten, in zunehmend feineren Details
sichtbar machen.
"Die
neuen Methoden der Bildgebung", erklärt Priv. Doz.
Dr. Dr. Thomas R. Toelle von der Neurologischen Klinik der
Technischen Universität München, "erlauben interessante
Einblicke in die Verarbeitung des Schmerzes im zentralen
Nervensystem. Und sie geben Hinweise darauf, welche Regionen
des Gehirns für die Verarbeitung der sensorischen, gefühlsmäßigen
und bewusst wahrgenommenen Aspekte des Schmerzes in besonderem
Maße verantwortlich sind."
Es
gibt kein Schmerzzentrum
Diese
Einblicke haben bereits die grundlegenden Vorstellungen
der Neurowissenschaftler verändert, wie das Gehirn Schmerzen
verarbeitet. Offensichtlich erzeugt dort kein zentrales
Schmerzzentrum den "Gesamteindruck Schmerz", so
Toelle, sondern "vermutlich ein Netzwerk verschiedener
funktioneller Systeme": Dabei handelt es sich um Nervenzellen-(Neuronen-)Verbände
in teilweise weit auseinander liegenden Hirnarealen, die
Schmerzsignale aus unterschiedlichen Nervenbahnen empfangen
und auf verschiedenartige Weise parallel oder hintereinander
geschaltet verarbeiten.
So
bewerten Nervenzellen im Thalamus - dem "Tor zum Bewusstsein"
im Zwischen-hirn - zusammen mit Neuronen der vorderen Großhirnrinde,
ob ein ankommender Reiz die Schmerzschwelle überschreitet.
Dafür, wie intensiv die betroffene Person den Schmerz wahrnimmt,
sind bestimmte Nervenzellen-Verbände im so genannten limbischen
System zuständig, das an der Entstehung von Gefühlen und
gefühlsbetonten Verhaltensweisen beteiligt ist. Ein weiterer
Neuronen-Verband des limbischen Systems entscheidet schließlich,
ob der Schmerzreiz als unangenehm empfunden wird.
Obwohl
viele Details dieser neurobiologischen Basis der Schmerzverarbeitung
noch ausstehen, zeichnen sich bereits nützliche Anwendungen
ab. Mit Hilfe von PET und fMRT können Wissenschaftler beobachten,
ob und wie verschiedene schmerz-therapeutische Maßnahmen
in den betroffenen Nervenzell-Netzwerken Wirkung zeigen:
So ließe sich zum Beispiel der Einfluss von Schmerzmitteln
und anderen Medikamenten auf die verschiedenen Dimensionen
des Schmerzes überprüfen. Darüber hinaus machen die Verfahren
individuelle Unterschiede bei der Schmerzverarbeitung sichtbar
- sie eröffnen somit in der Zukunft vielleicht auch die
Möglichkeit, Therapien auf den einzelnen Patienten zuzuschneiden.
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Momentaufnahmen
aktiver Hirnareale
Die
wachsende Hoffnung der Schmerzforscher und -ärzte beruht
auf den speziellen Fähigkeiten der beiden bildgebenden Verfahren.
Denn sowohl fMRT als auch PET enthüllen, welche Zellverbände
im Moment der Aufnahme gerade aktiv sind. Dies erlaubt Einblicke,
die rein anatomische Bilder wie etwa computertomographische
Röntgenaufnahmen nicht bieten können.
Ihre
faszinierenden Ergebnisse erzielen die beiden Verfahren
allerdings auf höchst unterschiedliche Weise:
* Die funktionelle Magnet-Resonanz-Tomographie - auch Kernspin-Tomographie
genannt - gewinnt ihre Informationen über den Zellstoffwechsel
mit Hilfe eines starken Magnetfeldes, das bestimmte Atome
im Gewebe anregt, für sie typische Radiosignale auszusenden.
* Die Positronen-Emissions-Tomographie arbeitet normalerweise
mit radioaktiv markierten Zucker-(Glukose-)Lösungen, die
sich in aktiven Zellen stärker anreichern. Schmerzforscher
verwenden für ihre Untersuchungen noch andere radioaktiv
markierte Substanzen.
Beiden
Verfahren gemeinsam ist die Aufbereitung der empfangenen
Signale zu zwei- oder dreidimensionalen Bildern mit Hilfe
spezieller Rechenprogramme durch leistungsfähige Computer.
Die
bildgebenden Verfahren erlauben den Schmerzforschern jedoch
nicht nur, die Aktivitäten von Neuronen-Verbänden zu beobachten.
Ebenso ist es möglich, die Aktivität bestimmter Botenstoffen
zu analysieren. Seit einem Vierteljahrhundert wissen Forscher,
dass Schmerzsignale im Gehirn durch körpereigene, opiatähnliche
Botenstoffe - so genannte Endorphine - gedämpft oder sogar
unterdrückt werden können: Sie docken an bestimmten, Rezeptoren
genannten Strukturen der Zelloberfläche an, wodurch die
Schmerzsignal-Stafette unterbrochen wird.
Körpereigenen Schmerhemmern bei der Arbeit zusehen
Nun
liefern PET-Versuchsreihen an gesunden Versuchspersonen
und Patienten erste Einblicke in dieses Geschehen. Dazu
injizieren die Forscher ihren Probanden radioaktiv markierte
Substanzen, die an dieselben Rezeptoren binden können wie
Endorphine. Darum werden sie "exogene Liganden"
genannt. Je mehr Rezeptoren von diesen Liganden besetzt
werden können, desto stärker sind deren messbare Signale.
Sind die Rezeptoren bei Schmerzen durch körpereigene Opiate
"besetzt", können die Wettbewerber von außen nicht
andocken. Dies belegen Vergleiche zwischen Patienten mit
rheumatoider Arthritis und gesunden Personen. Bei den Patienten
sind die Liganden-Signale deutlich schwächer.
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Erhalten
die Patienten jedoch eine ausreichende Schmerztherapie,
gleicht sich das Ausmaß der Liganden-Bindung an die der
Gesunden an. "Dies lässt darauf schließen", erklärt
Tölle, "dass die Rezeptoren im Schmerzzustand möglicherweise
durch Endorphine belegt sind und nach der Behandlung wieder
für das Anlagern der exogenen Liganden zur Verfügung stehen."
Untersuchungen
anderer Wissenschaftler bestätigen solche Zusammenhänge.
Erhalten Versuchspersonen einen schmerzhaften Reiz, empfinden
sie dessen Intensität individuell unterschiedlich. Dies
spiegelt sich auch auf der molekularen Ebene wider: Je schwächer
der Schmerz empfunden wird, desto mehr Rezeptoren sind durch
Endorphine besetzt. Für die Forscher ist dies "ablesbar"
an den schwächeren Signalen der exogenen Liganden, die weniger
freie Bindungsplätze finden.
Als
besonders dynamisch erwiesen sich die Botenstoffe außer
im Thalamus und in einer Großhirnrinden-Region namens Gyrus
cinguli vor allem im "Mandelkern": Dieses kleine,
auch Amygdala genannte Areal des limbischen Systems beeinflusst
Hirnstrukturen, die an der Unterdrückung von Schmerzen beteiligt
sind. Es ist ein wesentlicher Bestandteil des körpereigenen
Systems der Schmerzhemmung.
"Es
gibt ausreichend Hinweise darauf", berichtet Thomas
Toelle, dass diese Vorgänge "Schmerzlinderung im Menschen
vermitteln und durch akute Schmerzreize oder möglicherweise
auch nur durch die Erwartung von Schmerz aktiviert werden."
Sicher ist, dass bei akuten Schmerzreizen in der Amygdala
die körpereigenen Opiate aktiv sind. "Ob dies auch
schon bei der Erwartung von Schmerzen der Fall ist, versuchen
wir gerade heraus zu finden", sagt Tölle.
Schmerz ist immer eine Hirn-Sache
Dass
Schmerz letztlich immer eine Sache des Gehirns ist, zeigen
beispielhaft PET-Untersuchungen an Patienten, die nach einer
Amputation von Gliedmaßen unter Phantomschmerzen litten
- Qualen, die vermeintlich vom nicht mehr vorhandenen Körperteil
ausgingen. Bei den Betroffenen registrierten die Forscher
nahezu identische Aktivierungsmuster im Gehirn wie bei gesunden
Menschen, die am betreffenden Körperteil einen schmerzhaften
Reiz erhielten. Dies belegt, so Tölle, "dass das Netzwerk
verschiedener funktioneller Schmerzsysteme im Gehirn auch
intern erzeugt werden kann" - also ganz ohne Signale
aus dem Körper. (4. Oktober 2001, Deutscher Schmerzkongress
2001)
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